Meinungsfreiheit in Zeiten von Corona

Tatsächlich versperrt diese Sichtweise den Blick darauf, wie heterogen das gesellschaftlich breite Spektrum an Demonstranten tatsächlich ist. Natürlich finden sich dort viele, die in den Demonstrationen eine ausgezeichnete Plattform zur Verbreitung ihres rechtsextremen und/oder verschwörungstheoretischen Gedankenguts erkennen. Aber eben auch jene, die ihre ehrliche Sorge vor unnötig scharfen oder langfristig wirksamen Beschränkungen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zum Ausdruck bringen wollen. Ihre Verunsicherung und Sorge sowie das dahinterstehende Misstrauen gegen die politischen Entscheidungsträger kann und darf uns nicht gleichgültig lassen. Es gilt, herauszufinden, woher dieses Misstrauen eigentlich kommt und welche konkreten Entscheidungen dazu geführt haben, dass die Einschränkungen als zu weitreichend empfunden werden. Wenn zwischen begründbarer Kritik und verschwurbelt-paranoiden Verschwörungstheorien differenziert wird, kann eine sicht- und hörbare, kritische Öffentlichkeit entscheidend zur Weiterentwicklung dieses lernenden Systems zwischen Einschränkungen und Lockerungen beitragen. Gerade deshalb sei aber jeder, der seine Rolle als Regierungskritiker ernst nimmt, daran erinnert, dass konsequente Kritik auch Pflicht zur Selbstreflexion bedeutet. Und die Antwort auf die Frage, mit wem man sich da eigentlich solidarisiert, wenn der Nebenmann auf einer Demonstration von „Impfdiktatur“ oder „Volksvernichtung“ schwadroniert, sollte eindeutig sein: Mit den Falschen.

Die Demonstrationen am vergangenen Wochenende gegen die Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie haben drei Dinge gezeigt: Zum Ersten, dass es einen Teil der Bevölkerung gibt, der die bestehenden Einschränkungen entweder vollständig oder zumindest in Teilen ablehnt. Zum Zweiten, dass dieser Teil jenen, die zu Hause geblieben sind, zahlenmäßig weit unterlegen ist – in Berlin gingen knapp 1000 von über 3 768 000 Einwohnern auf die Straße, in Schwarzenberg 300 von 18 590 und in Ebersbach nur 150 von 7 800 Einwohnern. Und zum Dritten, dass einige derjenigen, die zu Hause geblieben sind, dazu neigen, alle Demonstranten wahlweise als „Spinner“, „Verschwörungstheoretiker“ oder „Nazis“ zu bezeichnen.