Lehren aus der Krise – Teil IV: Föderalismus

Lehren aus der Krise – Teil IV: Föderalismus

Föderalismus: Datenaustausch, Koordination – dieselben Probleme, die während der zunehmenden Migrationsbewegungen 2015 auftraten, sind nun erneut zu beobachten

Der deutsche Föderalismus als Staatsprinzip der Organisation hat sich natürlich bewährt und war nach den Erfahrungen der Weimarer Republik und der Naziherrschaft das allein geeignete Mittel zur Machtbeschränkung bzw. zur Verhinderung umfassender Regierungsmacht an zentraler Stelle.

Verantwortlichkeiten, Zuständigkeiten verteilen sich in der Bundesrepublik auf den Bund und die Bundesländer. Beide arbeiten eng zusammen – Gesetze, die beispielsweise die Interessen der Bundesländer berühren, bedürfen immer auch noch der Zustimmung der Länderkammer – des Bundesrates. Der Föderalismus in Deutschland ist im Grundgesetz festgeschrieben: Artikel 20 benennt den Bundesstaat, Artikel 30 die Eigenstaatlichkeit der Länder.

Die Bundesländer sind unter anderem zuständig für Justiz und Strafvollzug, Bildung, Kulturelle Angelegenheiten und Förderung, Krankenhäuser und Pflege, Polizeiwesen und Ordnungsrecht, Gefahrenabwehr im Katastrophenfall.
Bereits während zunehmender Migrationsbewegungen im Jahr 2015 zeigte der deutsche Föderalismus ernste Schwachstellen. Die Datenabstimmungen und –austausche zwischen den Bundesländern funktionierten nicht, verschiedene Regelungen bundeslandspezifisch zu Aufenthaltstiteln und Anerkennungen, gravierende Unterschiede von Land zu Land beim Thema Gesundheitsversorgung oder Berufsschulpflicht für Geflüchtete.

Im Zuge der damaligen Krise wurde viel verbessert, abgestimmt und vereinheitlicht. Inzwischen stehen die Länder, insbesondere ihre Ordnungs- und Polizeibehörden, im engen Austausch und haben auch ihre technische Infrastruktur angepasst.

Bei der jetzigen COVID-19 (Coronavirus)-Pandemie zeigen sich erneut grundlegende Schwachstellen des Föderalismus. Zwar gibt es das bundeseinheitliche Infektionsschutzgesetz, der Vollzug und die Umsetzung liegt aber in den Händen der Länder. Und somit gibt es zwar Vereinbarungen der Bundeskanzlerin, der Bundesregierung mit allen Bundesländern über die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Die von den Ländern erlassenen Regelungen unterscheiden sich, teils deutlich, voneinander. Während die Gesamtvereinbarung von weitgehenden „Kontaktsperren“ spricht, gibt es in Sachsen, Bayern und im Saarland „Umfangreiche Ausgangsbeschränkungen“. Während Sachsen, Niedersachsen, Bayern und 4 weitere Bundesländer Baumärkte geschlossen haben, blieben diese in 9 Ländern weiterhin offen. Über den Irrsinn von abgesagten Fußballspielen, Geisterspielen und Champions-League Begegnungen vor vollem Haus – alles in derselben Woche, alle in der Bundesrepublik – wurde genügend berichtet.

Welchen Wert haben dann bundeseinheitliche Abstimmungen und Einigungen, wenn die tatsächlichen Regelungen den föderalen Flickenteppich deutlich machen? Welchen Charakter haben die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz (ein Organ übrigens, welches nicht im Grundgesetz erwähnt wird…) mit der Bundeskanzlerin?

Es sind Empfehlungen. Ordnungs- und Polizeirecht, Katastrophenschutz, der Vollzug im Gesundheitsschutz obliegt den Ländern und mit ihren Gesundheitsämtern den Kommunen.
In einem föderalen System wie Deutschland ist diese Dezentralität durchaus gewollt, sie ist sogar oft genug von Vorteil, wenn es darum geht, die Lage vor Ort bestmöglich einzuschätzen und auch vor Ort zu entscheiden. Der Nachteil allerdings ist, dass in jenen großen Fällen, in denen die Krise beginnt, die Zuständigkeiten eben verschwimmen und der Abstimmungsbedarf riesig ist. Das kostet wertvolle Zeit. Und es kann dazu führen, dass selbst benachbarte Kommunen zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen. Siehe oben.
Hier wäre eine direkte Kompetenz des Bundes wünschenswert.

Beim Infektionsschutzgesetz beispielsweise hat der Deutsche Bundestag am 25.März die „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ festgestellt, so dass ab 28.3.2020 das Bundesgesundheitsministerium unbeschadet der Befugnisse der Länder diverse Anordnung oder Rechtsverordnungen ohne Zustimmung des Bundesrates zu erlassen kann.

Ein wenig mehr Zentralismus würde unserer Bundesrepublik an einigen Stellen richtig gut tun.